Ulrich von Beckerath

14.X.1949.

Ihr Einschreibbrief, abgestempelt am 11.d.M.,

eingegangen heute.

 

Herrn

Dr. jur. Fritz Runge,

(17a ) Heidelberg,

Anlage 53 b.

 

Lieber Herr Dr. Runge,

 

zu dem mir freundlichst uebersandten, wirtschaftsmathematischen Werk:

 

"Theorie der Geld- und Kreditwirtschaft" von Dr. Karl Schlesinger, bei Duncker & Humblot, Muenchen und Leipzig 1914, heute nur eine Bemerkung.

      Dem vom Verfasser fuer Laien gegebenen Tip, das Buch mit dem dritten Kapitel anzufangen, bin ich gefolgt. Da bin ich denn gleich - - durch eine beim Durchblaettern empfangene Ahnung vorbereitet - - auf folgende, fuer das Buch offenbar charakteristische Stelle gestossen:

 

"Die bis zum Ueberdruss wiedergekaeute Geschichte des Geldwesens als bekannt voraussetzend, muss eine Geldtheorie von der Gewohnheit, Waren nie durch Tausch, sondern immer nur gegen Geld oder auf Geld lautende Forderungen umzusetzen, als von einer gegebenen Tatsache ausgehen." (Seite 81.)

      In einer Anmerkung zu diesem Satz beruft sich der Verfasser auf Foeldes: Sozialoekonomie, I,S. 239, ein Werk, das ich leider nicht kenne.

      Hm, hm!! In mathematischen Werken ist eine solche Ausdrucksweise sonst nicht ueblich / macht auch keinen guten Eindruck - - - "zum Ueberdruss wiedergekaeut" - - na ja, die meisten schreiben ja einer vom andern ab, aber jede Geschichte bietet so zahlreiche Seiten, dass sie, wie der olle Goethe richtig bemerkte, von Zeit zu Zeit umgeschrieben werden muss. Die Geschichte des Geldwesens macht keine Ausnahme, abgesehen davon, dass in der vielleicht nur kurzen Zeit bis zum Atombombenkrieg das Umschreiben nicht moeglich sein wird. Vielleicht - - vielleicht auch nicht.

      Sie wissen ja einiges von der Vorgeschichte der Vier Gesetzentwuerfe. Die 7 Verfasser kamen darauf, dass das zu einer wirksamen Arbeitsbeschaffung Notwendige nicht getan werden kann, weil gewisse Gesetze ueber das Notenmonopol, deren Auswirkung man aber beim Erlass dieser Gesetze nicht vorausgesehen hat, einer wirksamen Arbeitsbeschaffung im Wege standen. Im Verlauf eines Gespraechs, das ich darueber mir Dr. Ramin hatte (ohne den die 4 Entwuerfe gewiss nicht zustande gekommen waeren) sagte er mir mal : So - - und nun gebe ich Ihnen ganz formell den Auftrag, mir den Text saemtlicher in irgend einer Gesetzsammlung Deutschlands veroeffentlichten Gesetze ueber das Geldwesen zu beschaffen, abgesehen von den nach 1870 erlassenen Reichsgesetzen, fuer die wir ja gute Spezialwerke hoben. Photokopieren Sie die Dinger oder schaffen Sie auf andere Weise tot oder lebendig die Texte herbei. Entweder lasse ich die Gesetze ohne Kommentar zum Gebrauch einer kuenftigen Geschichtsschreibung drucken, oder aber ich schreibe gar selbst einen Kommentar, wenn ich niemanden finde, der das fuer mich uebernimmt. Vor allem aber: die Gesetze her !

 

Selten habe ich einen Auftrag mit solchem Vergnuegen ausgefuehrt. Die Staatsbibliothek bot mir alle Hilfsmittel, fuer die meisten deutschen Staaten allerdings nur fuer die Zeit nach den Napoleon'sehen Kriegen. Fuer Preussen aber konnte ich die Gesetzgebung ueber 2 Jahrhunderte hindurch zurueckverfolgen. Ich kam auf erstaunliche Sachen und nach weniger als 4 Wochen konnte ich Dr. Ramin vier Pakete Photokopien ueberreichen, geldgeschichtlich nun wirklich mal was Neues und sehr verschieden von dem "bis zum Ueberdruss Wiedergekaeuten".

 

Das, was Rittershausen spaeter das Annahmeprinzip genannt hat, und das er dem Einloesungsprinzip gegenueber stellte, war den Beamten der Finanzministerien wohlbekannt. Leider kann ich Ihnen keinen Probetext eines alten Gesetzes uebersenden; es ist mir alles verbrannt. Ich haette die Photokopien gern gerettet, aber mein Zimmer war so voll Rauch, und als einzige Beleuchtung hatte ich die Flammen der brennenden Nachbarhaeuser, so dass ich die Sachen nicht finden konnte, abgesehen davon, dass der Luftdruck einer Bombe, die das uns gegenueberliegende Haus voellig zerstoert hatte, mir alles durcheinander geworfen hatte.

 

Erfunden oder doch in Deutschland zum ersten Male angewendet ist das Prinzip in Kur-Sachsen und zwar so etwa zur Zeit des ersten Schlesischen Krieges. Der Staat hatte kein Bargeld und zahlte daher mit "Steuer-Antizipations-Scheinen". Das waren Scheine, die nicht in bar eingeloest, sondern die nur bei Steuerzahlungen wie bares Geld angenommen wurden. Zuerst lauteten die Scheine auf diejenigen Betraege, die der Staat gerade zu zahlen hatte, z.B. 105 Thaler 7 Groschen. Nachher waehlte man runde Summen. Das Volk und die Geschaeftswelt verstanden das neue Prinzip Jahre lang nicht, und die Scheine kriegten ein erhebliches Disagio.

 

(Voltaire erkannte bei seinem Aufenthalt in Deutschland sofort, dass das Prinzip durchaus gesund war, und dass die Scheine mal wieder auf pari stehen mussten, kaufte also, soviel er kriegen konnte, und gewann dadurch eine Vermoegen; man hat V. daraufhin sehr verleumdet, und einige derjenigen, die die Scheine so billig hergegeben hatten, wollten V. verklagen. Ein Jude verklagte ihn tatsaechlich, und der Alte Fritz, der das Prinzip nicht kannte und anscheinend auch nicht begriff, hielt selbst den V. fuer einen "Agioteur".)

Zuletzt aber begriff man.

      Andere Staaten als Sachsen folgten.

      Es ist klar, dass mit diesem Prinzip sich ein Staat finanzieren kann, auch wenn nicht ein Thaler Bargeld im Lande umlaeuft. Lorenz vom Stein hat nachher eine Theorie des Verfahrens aufgestellt und hat geschatzt, dass wenn die Summe des durch Antizipationsscheine emittierten Betrages nicht groesser ist als etwa 1/4 oder 1/3 der jaehrlichen Staatseinnahmen, die Paritaet auch ohne Einloesungsfonds gesichert ist.

Die in den Lehrbuechern "zum Ueberdruss wiedergekaeute" Geschichte des Geldwesens sagt hierueber nichts. Das ist eigentlich verwunderlich, denn hier handelt sich's nicht um Theorien sondern um ein praktisch in grossen Mengen im Kurs gewesenes Zahlungsmittel. In den preussischen Bureaus war die alte Tradition noch bei der Schaffung der Rentenbankscheine nicht ganz vergessen, wie die Gesetzgebung ueber die Rentenbankscheine zeigt.

Die Theorie haette hier anschliessen sollen. Aber/ nicht ein Wirtschafts-Mathematiker hat hier angeschlossen. Auch als in den Jahren 1923 und 1924 die Reichsbahn ein Notgeld im Betrage bis zu etwa 1 1/2 Milliarden Mark (Goldmark) herausgab - - wahrhaft! keine Kleinigkeit - - sah die Oeffentlichkeit einschliesslich der Wissenschafter darin nur einen "Missbrauch", durch die Not der Zeit aber halbwegs entschuldigt.

Haette die Theorie sich mit dem Prinzip beschaeftigt, so wuerde sie u.a. gefunden haben, dass das Scheckwesen in der Praxis auf dem Annahmeprinzip beruht, mag auch die juristische Konstruktion der Schecks ganz und gor verschieden davon sein. Beispiel:

 

Abrechnungsverkehr der Reichsbank i.J. 1930

 

Einnahmen:        Barzahlungen            26 870,8 Millionen M,

Verrechnungen mit

Kontoinhabern          103 046,7

Uebertragungen

a) am Platze           145 108,8

b) von andern

Bankstellen            77 226,7

                                   ----------------------

352 253,0

 

Ausgaben:   Barzahlungen            28 379,0

Verr. (wie oben)             103 826,4

Uebertragungen

a) an Platze           145 108,8

b) von andern

Bankstellen            75 020,0

----------------------

352 334,2

 

Bestand Ende des Jahres ...........     540,4

 

(Statistisches Jahrbuch fuer das Deutsche Reich, Jahrg. 1937, Seite 377.)

 

Man erkennt: Wenn die Reichsbank nicht die Schecks angenommen haette, wie sie bares Geld wuerde angenommen haben, und wenn die Berechtigten nicht ganz damit einverstanden gewesen waeren, dass keine Barauszahlung erfolgt, mit andern Worten, wenn nicht das Bargeld fast ausgeschaltet gewesen waere, obwohl alle Beteiligten das Recht hatten, Barzahlungen zu verlangen, dann haette der Abrechnungsverkehr nicht funktionieren koennen.

352 Milliarden, das ist mehr als die Haelfte des damaligen deutschen Volksvermoegens. Man begreift, was fuer Stoerungen entstehen mussten, wenn auch nur ein kleiner Teil der Berechtigten * ploetzlich Barauszahlung verlangte. (*) (Anm. von J.Z. : Hier haette er einschieben sollen: "zusaetzlich zu denen, die die oben unter Ausgaben genannten 28 Milliarden verlangten" )

 

Man kenn sagen: In der Praxis erfolgte mehr als 9/10 aller Umsaetze in Deutschland noch dem Annahmeprinzip, einem Prinzip, das die Theorie ueberhaupt nicht beachtet hatte und bis heute nicht beachtet.

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Der Geschichte des Geldwesens ist es auch entgangen, dass im Mittelalter das Clearing eine ganz normale Art der Zahlung war, und dass die Kaufleute ein Anrecht darauf hatten, ihre Schulden durch Clearing, insbesondere durch Messe-Clearing, zu bezahlen. Die heimischen Gerichte durften erst dann eine Klage gegen einen Kaufmann annehmen, wenn die Clearing-Moeglichkeiten erschoepft waren. Auf den Wechseln der Kaufleute stand davon nichts, weshalb die Sache auch der Aufmerksamkeit der Historiker entgangen ist, aber in den Statuten der Kaufmannsgilden war das Noetige gesagt.

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Schlesinger hat auch Formeln fuer dos Abrechnungswesen gegeben. Die muss ich noch studieren. Da Schlesinger aber das richtige Prinzip ueberhaupt nicht formuliert hat, so bin ich seinen Formeln gegenueber zunaechst einmal misstrauisch.

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Die Vier Gesetzentwuerfe gehen durchaus ganz vom Annahmeprinzip aus. Bis zur allerletzten Konsequenz konnten sie allerdings nicht durchgefuehrt werden. Die Entwuerfe sollten ja dem Reichskanzler Bruening vorgelegt werden, und da musste man sich damit begnuegen, etwas geschaffen zu hoben, mit dem sich die Arbeitslosigkeit beseitigen laesst, und das vom Einloesungsprinzip weit genug entfernt ist,

      So ziemlich zur letzten Konsequenz hat das Annahmeprinzip W.B. Greene gebracht, dessen Namen Sie ja oefters in dem Werk von Henry Meuten gefunden hoben. Greene schrieb so etwa zwischen 1850 und 1880. Mutual Banking, sein Hauptwerk, war schon i.J. 1849 fertig.

      Greene ging von der amerikanischen Praxis seiner Zeit aus. In kleineren Staedten geben die Ladenbesitzer Gutscheine aus, die wie Geld gestueckelt waren. Damit bezahlten sie ihre Einkaeufe. Wert erhielten die Gutscheine dadurch, dass die Ladenbesitzer sie bei Einkaeufen oder beim Bezahlen von Schulden wie bares Geld annahmen. Eisenbahnen verfuhren aehnlich. Bargeld war von jeher im Westen von USA und frueher auch in der Mississippi-Gegend und ueberall auf dem Lande - - auch im Staate New York - - knapp. Man stand aber damals auf dem Standpunkt, dass Produktion, Handel und puenktliche Zahlung nicht davon abhaengig sein sollten, dass Bargeld genug da war. (Ein Standpunkt, der den Modernen geradezu als verbrecherisch gelten muss; die Modernen behaupten: das Wirtschaftsleben hat sich noch dem Quantum der zur Verfuegung stehenden Umlaufsmittel zu richten. Wenn der Staat z.B. die Menge der Umlaufsmittel knapp haelt, so haben die Arbeiter freundlichst arbeitslos zu werden, und so und so viel Geschaeftsleute haben zwecks Sanierung der Wirtschaft pleite zu gehen. Das ist ganz offizielle Theorie!)

Greene sagte nun, dass wenn in einem Gemeinwesen, z.B. in einem Dorf, die Gesamtsumme dessen, was zum sofortigen Verkauf bereit stand (ausser Gegenstaende, die nicht zur Deckung taeglichen Bedarfs dienten) X Dollars betrug, dann die Warenbesitzer auch bis zu X Dollars Gutscheine ausgeben koennten, mehr allerdings nicht. Diese X Dollars waren kein Fonds im ueblichen Sinne des Wortes. Deckung der Gutscheine war die Annahmebereitschaft der Warenbesitzer. Sowie sich nun mehrere Warenbesitzer zu einem "Kollektiv" vereinigen, so dass einer sich verpflichtet, die Scheine des andern anzunehmen, so nimmt das Kollektiv eine Rechtsform an, die von derjenigen einer Verrechnungsbank im Sinne des Entwurfs IV nicht sehr verschieden ist. Vielleicht haben wir noch Gelegenheit darueber zu sprechen.

 

Mit bestem Gruss

 

Ihr

gez.

U.v.Beckerath.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 440 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 1398-1400.